Tabu-Thema Inkontinenz: „Was kann ich selbst tun? Es gibt keinen Grund, sich abzufinden"

Chefärztin Dr. Maleika referierte in der GRN-Klinik Schwetzingen im Rahmen der 15. bundesweiten Welt-Kontinenz-Woche zum Thema "Bewusstsein Beckenboden: Aktiv gegen Senkung, Inkontinenz und Schmerz"


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Geschätzt rund 10 Millionen Menschen leiden in Deutschland unter Harninkontinenz, aber nur die Hälfte der Betroffenen wendet sich an einen Arzt. Das Ignorieren der Symptome – meist aus Scham – ist fatal. „Mit der bundesweiten Welt-Kontinenz-Woche möchte man darauf aufmerksam machen, dass Inkontinenz häufig ist und es legitim ist, sich Hilfe zu holen, ohne es peinlich finden zu müssen“, so die einleitenden Worte von Dr. Annette Maleika, Chefärztin der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe in der GRN-Klinik Schwetzingen. „In einer Hausarzt-Praxis ist das Symptom der Harninkontinenz weit häufiger als hoher Bluthochdruck, Diabetes oder Depressionen“, die Chefärztin weiter.

Unbehandelt verstärkten sich die Beschwerden, so Dr. Maleika. Was laut Expertin hilft: Aufklären, dem Leiden das Tabu nehmen und Therapiemöglichkeiten aufzeigen. Den Schwerpunkt legte Dr. Maleika in diesem Jahr auf nicht-operative Therapien: „Da sind Sie gefragt und Ihre Motivation. Sie können durchaus auch selbst sehr viel tun.“

Zunächst jedoch müsse man das Problem verstehen und deshalb sei die Diagnostik so wichtig, denn die Ursachen für Harninkontinenz seien sehr vielfältig: Liegt es an der Blase, also am Blasenmuskel oder am Beckenboden? „Mit dem Beckenboden beschäftigen sich die wenigsten Menschen, dabei ist er eigentlich der allerwichtigste Muskel in unserem Körper“, erläuterte die Ärztin. Diese Muskelschicht hält die Organe und der gesamte Oberkörper lastet darauf. „Aber man sieht diesen Beckenbodenmuskel nicht und deshalb wird er auch erst mal vernachlässigt. Das ist die Gefahr“, ermahnte Dr. Maleika. „Denn die häufigste Ursache für eine Harninkontinenz ist eine Schwächung des Beckenbodens.“ Verschiedene Risikofaktoren tragen im Laufe unseres Lebens zu dieser Schwächung bei: Schwangerschaft, Geburt, Übergewicht, schweres Heben und Tragen oder am Ende das Alter, in dem der Beckenboden nachgibt, also durchhängt, so dass die Blase dadurch tiefer rutscht, was ständigen Harndrang verursacht.

Aber nicht nur der Beckenboden kann die Funktion der Blase beeinträchtigen, auch der Blasenmuskel selbst: Die Blase funktioniert nicht autonom, sondern wird vom Gehirn gesteuert. Dieses ist sehr störanfällig, beispielsweise durch Einnahme von Psychopharmaka, Diuretika, das sind ausschwemmende Medikamente, oder Schlaftabletten, nach einem Schlaganfall oder bei Stress. etc. Das bedeutet, nicht nur der Beckenboden kann die Funktion der Blase beeinträchtigen, sondern auch die Verbindungen zum Gehirn können gestört sein. Auch verschiedene Erkrankungen mit neurogener Schädigung können die Nervenbahnen zwischen Gehirn und Blase stören und die Blase beeinflussen: Diabetes, Borreliose, Multiple Sklerose, Restless Legs oder Depressionen. Auch unter häufigen Infektionen oder Genussstoffen wie Alkohol, Nikotin, Röststoffen im Kaffee oder starken Gewürzen leidet die Blasenschleimhaut.

Die häufigste ist die Belastungsinkontinenz, resultierend in unkontrollierbarem Urinverlust bei Erschütterungen wie Husten und Niesen oder körperlicher Betätigung. Die Ursache ist hier der gestörte Verschlussmechanismus, weil der Beckenboden zu locker oder ausgeleiert ist. Kommt dann extra Druck auf die Blase, geht Urin ab. Auch sehr oft gibt es die Dranginkontinenz, bei der häufiger Harndrang und nicht unterdrückbarer Urinverlust das Problem sind. Der Verschluss ist normal, aber die Kontraktion der Blase ist teilweise so heftig wie bei einem Krampf. Ursachen dafür sind eine überempfindliche Schleimhaut oder eine motorische Störung der Blase. Etwas seltener sind neurogene Inkontinenzen. Dann gibt es noch die Überlaufblase und die extraurethrale Inkontinenz (Fisteln). Bei einer Senkung kann es zum Vorfall der Beckenorgane kommen und der Beckenboden kann sich durch die Scheide durchdrücken. Das führt auch oft zu einem unangenehmen Harndranggefühl. 
Die Chefärztin ermunterte die Zuhörenden: „Inzwischen gibt es eine ganze Reihe konservativer Behandlungsmöglichkeiten bei Harninkontinenz, die Sie ganz einfach zuhause anwenden können. Es muss nicht immer gleich eine OP sein.“

Die Basistherapie sei für alle Typen erst einmal relativ gleich. Ganz wichtig sei dabei die Verhaltenstherapie, bei der man den Lebensstil modifizieren und sich fragen sollte: Was kann ich bei meiner Ernährung verändern? Welche Genussstoffe kann ich weglassen? Hilfreich sei auch eine Medikamenten-Analyse, da manche Medikamente den Urinfluss begünstigen. Dann empfahl die Ärztin das Führen eines Protokolls: „Ich fände es interessant, wenn Sie mal drei Tage lang aufschreiben, was Sie in welcher Menge trinken, wann Sie auf Toilette müssen und wieviel.“

Zusätzlich könne im Alter eine vaginale Östrogentherapie helfen, da viele unter Hormonmangel leiden. Die innere Schleimhaut der Blase wird dann trockener und nicht mehr so gut durchblutet. Das Östrogen Estriol ist gut. „Auch wenig davon hilft“, so Dr. Maleika, „ebenso eine Vitamin D-Substitution.“
Sehr empfehlenswert sei natürlich Bewegung, weil dabei der Beckenboden angespannt wird wie beispielsweise bei gezielten Beckenboden-Übungen, beispielsweise mit Hilfsmitteln wie Vaginalkonen (kleine Gewichte). Auch Pessare können den Beckenboden stützen und stabilisieren. Weiterhin empfiehlt die Expertin das Training mit Vibrationsplatte: „Wie bei jedem Kraftsport: Sie müssen jeden Tag mindestens zehn Minuten trainieren. Anders geht es einfach nicht.“

Interessant sei auch die Behandlung mit Botox per Blasenspiegelung, das den Harndrang unterdrückt. „Es hilft wirklich gut ohne merkliche Nebenwirkungen“, erläuterte die Expertin. Sowohl bei Belastungsinkontinenz als auch bei der Drangblase gibt es zusätzlich die Möglichkeit einer medikamentösen Behandlung. 
Zum Schluss gab die Chefärztin noch Ratschläge zur Vorbeugung einer Beckenbodenschwäche: „Wichtig ist es, über solche Probleme zu reden, indem wir schon junge Frauen animieren, Beckenbodentraining zu machen. Am besten schon in der Schwangerschaft und danach bei der Rückbildung und eigentlich dann sein ganzes Leben lang.“